Besuch bei den Amish

Nach so viel Stadttrubel wollten wir uns auf dem Rückweg noch mal in einer ländlicheren Gegend entspannen. Auf dem Heimweg liegt das Lancaster County, Heimat der Amish. Die Amish haben sich traditionellen und christlichen Werten verschrieben. Abgelehnt wird, was der Selbstdarstellung dient und maßlos ist. Da hat sich wohl jemand das falsche Land ausgesucht…
Ich würde gerne die Regeln der Old Order Amish beschreiben, allerdings leiden die Regeln unter einer gewissen Komplexität und Unnachvollziehbarkeit, so dass ich es nur versuchen kann und mir sicher bin, dass der nachfolgende Text Lücken und fehlende Hintergrundinformation bietet. Also: nagelt mich nicht fest.

Apropos nageln: wir hatten uns ursprünglich eine Unterkunft in dem, der durch die Amish geprägten Biederkeit des Lancaster-County zum Trotz, benannten Ort Intercourse, auf deutsch (Geschlechts-)Verkehr, ausgesucht. Hier zeigte sich auch schnell, dass unsere Annahme, sich einen Ruhigen zu machen, auf einer romantischen Vorstellung des Lancaster-County beruhte. Tatsächlich sind nur 5,5% der Bevölkerung Amish und der Ort Intercourse machte, zumindest was den Autoverkehr angeht, seinem Namen alle Ehre. Daher haben wir uns in New Holland ein ruhigeres B&B gesucht.

Um in die amishe Kultur einzutauchen, haben wir uns am ersten Tag die Kutschentour „Amish Experience“ zu Gemüte geführt. Das Programm: mit der Kutsche fahren wir zu einer amishen Molkerei, einer amishen Tischlerei und einem amishen Road-Side Stand. Mit uns in der Kutsche war ein Trio amerikanischer Damen, die auch voll eintauchen wollten. Allerdings haben sie wohl so etwas wie Disneyland erwartet… Nach 1,5 Meilen waren wir bei der Molkerei angekommen und als es an die Besichtigung ging fragten sie ganz erstaunt: „Was, wir sollen schon wieder aussteigen?“ Nachdem die Kutsche nach 5 Minuten entladen war (ja, alle 5 Fahrgäste), ging es auf in den Kuhstall. Ich wunderte mich, was eine der Mitfahrerinnen für einen komischen Tanz aufführte und wollte sie schon fragen, ob sie sich was gestoßen hat, doch sie versuchte nur dem Kuhmist auf Zehenspitzen auszuweichen. Na dann, viel Erfolg.

Gülle Gülle

Ab hier begann auch die verwirrende Geschichte der Regeln: die Amish fahren nur mit Kutschen, Autos sind verboten. Wer keinen Kutsche hat, fährt mit dem Tretroller, denn Fahrräder sind auch verboten(?). Hier neben dem Stall steht allerdings ein Traktor. Der wird jedoch nicht zum Fahren benutzt (weil verboten). Statt dessen ist das „Steh“-zeug aufgebockt und der Motor dient zum Antrieb der Güllepumpe. Diese kann nämlich nicht durch Strom angetrieben werden. Strom ist nicht erlaubt. Die Kühe werden übrigens nicht von Hand gemolken. Hierzu werden motorbetriebene Melkpumpen verwendet, da sonst die Milchbetriebe nicht konkurrenzfähig sind. Farmen scheinen ohne Trecker konkurrenzfähig bleiben zu können(?). Noch interessanter wird es bei einem Pflug mit eingebauter Saatmaschine: die Maschine verwendet einen Motor, es darf aber kein Motor auf der von den Pferden gezogenen Kutsche vorhanden sein. Daher wird der Motor auf einen weiteren Anhänger verfrachtet, der dann von der Kutsche gezogen wird, die von Pferden gezogen wird und ergo der Motor nicht direkt von den Pferden gezogen wird(?).

Weiter geht’s zum Tischler. Hier werden Geräte verwendet, die wie elektrisch betriebenes Werkzeug aussehen. Wir lassen uns eines Besseren belehren: alle Werkzeuge werden pneumatisch angetrieben, der Luftdruck wird über einen Dieselmotor erzeugt. Das muss man sich wohl so vorstellen, dass z.B. bei einer Bohrmaschine der Motor durch eine Art Turbine ausgetauscht wird.

Nächster Stopp sind die Kutschen. Da sie die wichtigste Art der Fortbewegung sind, erhält man schon als kleines Kind seine eigene Kutsche (betuchte Eltern vorausgesetzt). Dementsprechend benötigt man auch Minipferde, damit die Kinder sie im Zaum halten können. In der Regel recht einfach gehalten, sehen wir uns die Kutsche des ältesten noch nicht volljährigen Sohnes genauer an: LED-Blinker, Bassboxen und Musikanlage sind hier angesagt. Die Ver-/Gebote der Amish gelten nämlich erst, wenn sich ein junger Erwachsener zur Gemeinschaft der Amish bekannt hat. Vorher sind sie ausgenommen, diese Periode nennt sich dann „Rumspringa“. In der Zeit ist es erlaubt, neue Erfahrungen ohne Auflagen zu machen um dann freien Willens entscheiden zu können, ob man sich das Amish-Leben antun möchte oder nicht. Die Quote der sich für die Amish Entscheidenden soll sehr hoch sein.

Miniponies

 

Um das Thema der Wirtschaftlichkeit eines solchen Betriebes noch ein mal aufzugreifen, schauen wir uns eine der Haupteinnahmequellen der Amish an, die auch das Wintergeschäft mitbestimmt: die Sucht. Okay, das ist vielleicht etwas übertrieben aber ich spreche vom Tabakanbau. Handgedrehte Zigarren aus Südamerika sind in den USA ja der Verkaufsschlager schlechthin. Ohne groß einen Gedanken daran zu verschwenden, nahm ich auch immer an, dass der Tabak auch dort angebaut wird, wo er gedreht wird. Pustekuchen, das besorgen die Amish. Vom schönen Pennsylvania aus wird der getrocknete Tabak dann verschifft, von Billiglohnarbeitern zu Zigarren verarbeitet und für teures Geld in die USA verkauft.

Den Abschluss macht der Verkaufsstand, der Laut der Bezeichnung Road-Side Stand eigentlich an der Straße stehen sollte. Aber wir haben mit unserem Veranstalter mal wieder neppiges „Glück“ gehabt, alle unsere Stopps sind auf dem selben Hof (hat sich in der Werbung irgendwie anders angehört) und somit steht der Stand auch an der Auffahrt. So interessant alles ist, werden wir nach wenigen Minuten von unserem Kutscher aufgescheucht und müssen wieder einsteigen. Nach weiteren 1,5 Meilen sind wir wieder zurück, fühlen uns leicht verarscht und fahren noch mal zum Stand, um uns ein paar nette Kleinigkeiten zu kaufen. Aber Achtung! Nur weil es von Amish verkauft wird, ist da nicht unbedingt Amish drin. Man sollte immer in Erfahrung bringen, wo etwas hergestellt wurde, und so hatten wir auch hier den einen oder anderen Artikel „Made in China“ in der Hand (allerdings weiß ich nicht, ob es da auch Amish gibt).
Dass fasst auch die gesamten Erfahrungen hier recht gut zusammen. Es war sehr interessant, die Amish sind in Kutschen unterwegs und tragen altertümliche Trachten, aber es wird um das ganze Geschehen ein Megahype gemacht und eine ganze Tourismusindustrie aufgebaut, die das ganze konterkariert. So ähnlich wie Angeln mit Dynamit.

Da schauen wir uns lieber noch mal ein paar Turkey Vultures am nahe liegenden Hawk Mountain an und düsen wieder nach Hause.

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